Guten Tag,
Leserbrief zu „Man kann auch ein zu großes Ding draus machen“ vom 15.11.2019
https://www.sueddeutsche.de/panorama/schwarze-piet-niederlande-1.4682524
Guten Tag,
ich reagiere hier auf das oben genannte Interview. Nur kurz zu mir: Ich bin Trainer für Diversität und gebe auch Module zu Rassismuskritik, ich bin weiß und wohne an der niederländischen Grenze, habe sowohl die Proteste als auch „Feste“ miterlebt.
Ich schreibe Herrn Kirchner hier in der dritten Person an, da ich dies so für den gebräuchlichen Terminus in einem Leserbrief halte und ich es nicht persönlich machen möchte. Sollte es genau deshalb aber arrogant oder verletzend wirken, so tut mir dies leid. Sprache löst ja immer etwas aus und darum geht es mir u.a. ja auch in diesem Artig und auch ich bin nicht gefeit davon, auszulösen was ich nicht beabsichtige.
Nichtsdestotrotz möchte ich meine Empörung zum Ausdruck bringen, v.a. über die Tendenziösität von Herrn Kirchner. Um es nicht zu lang zu machen (was nicht gelingen wird, weil es zu viele Elemente im Artikel gibt, die angesprochen werden müssen), gebe ich hier nur einige kurze Denkanstöße und wäre hocherfreut, wenn sich nicht nur der Autor mehr mit dem Thema (eigener) Rassismus beschäftigen würde. Ich selbst tue es regelmäßig und würde mich nicht als Experten bezeichnen, auch wenn mir dies durchaus zugeschrieben wird manchmal, was vielleicht auch schon Teil der Problematik ist... Ich selbst weiß um meine rassifizierten Denkstrukturen, soll heißen auch ich denke/handele bisweilen rassistisch ohne es zu wollen. Und ich selbst profitiere als weißer Mann (leider) von noch immer bestehenden rassistischen Strukturen. Schon dadurch, dass ich selbst nicht Opfer dieser Diffamierungen durch „Zwarte Piet“ werde. Zum Artikel:
Am meisten empört mich die Überschrift; ich kann mir nicht denken, dass dies die Absicht von Herrn van Ginneken war, der ja durchaus dialektisch zu „Politischer Korrektheit“ (übrigens historisch ein Begriff der konservativ Rechten zur Erhaltung und Verteidigung ihrer (weißen) Deutungshoheit, schreibt, auch wenn sich dazu noch kritisch mehr anmerken ließe.... Wie viel schöner- und ja, das ist meine Meinung- und auch Herr Kirchner hat sich ja aus einer Meinung heraus entschieden – wäre die Überschrift gewesen: „Man kann angemessen reagieren, wenn sich Frauen oder Migranten zu recht über sexistische oder rassistische Darstellungen beschweren“. Pardon, vielleicht nicht schöner, aber eben anders, ganz anders... Aber auch hier ließe sich jedoch kritisch anmerken: Es soll auch weiße Migranten aus Schweden geben, die keine Opfer von Rassismus werden, unter ihnen soll es aber Frauen geben, die Opfer von Sexismus werden.
A apropos Politische Korrektheit: Das Begriffspaar „Kreole“ und „Schwarze“ kann ich als Regionalwissenschaftler für Lateinamerika so nicht stehen lassen. Kreolen können sich auch als Schwarze sehen bzw. Schwarz gelesen werden. Interessant: Beides sind ursprünglich weiße, diskriminierende Begriffe zur Konstruierung von Differenz und Legitimierung von Unterdrückung in der (post) kolonialen Zeit… Der begriff „Kreole“ geht aber auf andere soziohistorische Umstände zurück als „Schwarz“ und letzterer Begriff ist ja auch (nicht ursprünglich) einer aus der politischen Widerstandsposition und als Selbstbezeichnung bewusst im Kontext von Rassismus verwendet.
„Wer kämpft eigentlich gegen wen in diesem Streit? Nur die Immigranten gegen den Rest?“
Dieser Satz hat mich nach der Überschrift am zweitmeisten empört. Zum einen aus selbigen Argument wie oben (Welches Bild hat Herr Kirchner im Kopf, wenn er an „Immigranten“ denkt) und weil er suggeriert, Rassismus ginge nur Immigranten an. Selbst wenn diese Frage bewusst so gestellt war- so stellt sie eine Annahme in den Raum, die genau teil dieser Problematik ist: Denn weiße Menschen können es sich aussuchen, sich mit Rassismus zu befassen, oder eben auch nicht... Und sie ordnen Menschen in ethnisierte Gruppen ein, wie es ihnen passt. Die critial whiteness studies haben dies umfassend aufgegriffen.
Nochmals zur Überschrift: Was sagt die Wahl aber eben des anderen Parts über den Autor aus? Was war seine Absicht? Welche Richtung gibt sie dem Artikel? Wie ernst nimmt dieser Artikel dann überhaupt die Demonstrierenden? Wohl kaum sehr ernst, denn die erste Zeile lautet ja : „Es wird Ernst“. Verzeihung, ich kann es nur ironisch und damit verhöhnend deuten.
Und was war jene Intention, als Herr Kirchner schrieb von „mutmaßlich rassistische(r) Darstellung“? Welche inhaltlichen Gegenargumente soll es eigentlich bitte geben? Also was bitte ist nicht rassistisch an der stereotypen Diffamierung Schwarzer Menschen, wie sie seit der Kolonialzeit immer wieder betrieben wird? Herr van Ginneken scheint zumindest das ja zum Glück auch so zu sehen...
Was, als er im Intro das Problem verkleinerte – und das sollte man lieber „zu einem großen Ding machen“ , dass seit Jahren die Demonstrierenden Opfer rassistischer Angriffe werden! Was sagt es aus, wenn er das nicht benennt und stattdessen von einem „Streit“ zwischen „Fans“ und „Gegnern“ spricht, als ginge es um ein Fußballspiel?!
Wer hat sich eigentlich wie intensiv mit (Kolonial) rassismus beschäftigt? Reicht es nicht, dass sich Menschen verletzt fühlen, dass es ein klares Statement der UN dazu gab, dass die Demonstrant*innen gewalttätig angegriffen und rassistisch diffamiert werden? ist letzteres Zufall? Nein! Und so geht es auch nicht darum „dass man mit ein paar kleinen Kompromissen zu einer Lösung kommen könne“. Pardon, aber was sagt das aus über die Einstellung der beiden Herren zu strukturellem Rassismus, der nicht nur in den Niederlanden grassiert? Und herangeführte „Experten“ versuchten zu erklären, „warum es unnötig sei, bei der wohlbekannten Darstellung zu bleiben“. Nun, ich kann es ja nicht nachvollziehen, aber wurde dererseits zudem auch immer wieder erklärt, dass es menschenverachtend und rassistisch ist, an blackfacing festzuhalten? Wenn nur von „unnötig“ geschrieben wird, ist das erneut ein Hohn gegenüber Betroffenen.
„Inzwischen ist er längst nicht mehr bedrohlich, sondern eher fröhlich. Und oft nicht mehr schwarz, warum geht der Streit dann weiter?“
Ich möchte eine andere Antwort als Herr van Ginneken geben: Weil das Problem des zugrundeliegenden Rassismus nie (ja auch hier nicht) ganz aufgemacht wurde von der weißen Mehrheitsgesellschaft, auch nicht an dieser Debatte. Obwohl es natürlich dazu – wie besagt auch von der UN- dazu klare Statements und Erklärungen gibt. Und wieso sollte nur „Bedrohlichkeit“ als Darstellung für Empörung sorgen dürfen? Auch der Satz „Brasilianer*innen haben Tanzen halt im Blut“ ist rassistisch. Stereotypen und Rassismus müssen nicht zwangsläufig „negativ“ konnotiert sein.
Und was sagen Sie dazu, dass Herr Rutte ernsthaft den Demonstrierenden rät, nicht während der „Feste“ auf die Straße zu gehen? Das lässt sich nur sagen, wenn die Überzeugung besteht, es handele sich hier nicht um Rassismus, gegen den sich alle wehren sollten!
Zuletzt: Ich unterstelle den Feiernden und auch dem Autor sowie seinem Interviewpartner keinen intentionalen , bösartigen Rassismus, aber das ändert kaum etwas an der Betroffenheit der Diffamierten. Der Vorwurf lautet meinerseits eben eher wie angedeutet von Herrn van Ginneken: Die Menschen sind uninformiert und verteidigen auf Teufel komm raus ihre (unreflektierte) weiße Position. Sie übernehmen nicht die Verantwortung für die Konsequenzen ihres verletzenden Denkens und Handelns. Und ja: Sie könnten anerkennen: Oh ok, das ist (kolonial)rassistisch, wir entschuldigen uns , wir möchten niemanden verletzen und besprechen mit den „Gegner*innen“, v.a. mit den Betroffenen, wie wir das Fest ändern können, so dass sich niemand verletzt fühlt. Und: dann Könnten ja sogar alle zusammen feiern- ist das gewollt? Warum ist das so schwer? Weil es heißt, einen Fehler zuzugeben, eine Tradition loszulassen und ein Privileg zu verlieren. Aber es ließe sich etwas gewinnen: Dialog , Miteinander, Respekt, Menschenwürde! War das nicht wichtig bei dem Anlass, um den es eigentlich bei diesem Fest geht?